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Unklare Werkidentität?

Die Radierung „Stubbenkammer – Kreidefelsen auf Rügen“

Otto Strützel wurde am 2. September 1855 als Sohn eines Schneidermeisters in Dessau geboren. Sein Vater förderte schon früh Strützels Talent zur Malerei. Er studierte zunächst dank der Unterstützung eines Bankdirektors in Leipzig an der Kunstschule und einige Jahre später in Düsseldorf unter Irmer und Kröner und schloss sich anschließend der Lier’schen Schule in München an. Ab 1880 reiste er immer wieder nach Hessen, wo er sich der Willingshäuser Malerkolonie anschloss. Nach der Hochzeit mit der Schwedin Maria Ahlström (1859-1918) und deren Hochzeitsreise nach Brännö in Schweden gehörten nordische Landschaftsdarstellungen zu seinen bevorzugten Motiven. Darüber hinaus hat er sich als Tiermaler einen Namen gemacht. Otto Strützel verstarb am 25. Dezember 1930 in München.

Provenienzmerkmale können dabei helfen, Informationen über den oder die Vorbesitzer eines Kunst- oder Kulturobjekts zu erhalten. Insbesondere in Büchern finden sich vielfach handschriftliche Namensvermerke, Exlibris, Buchbindermarken oder Stempel, durch die Rückschlüsse auf den Vorbesitz gezogen werden können. Auch wertvolle Gemälde weisen bisweilen in Form von Galerie- oder Museumsaufklebern, Widmungen o.ä. diesbezügliche Hinweise auf den Rückseiten auf. Bei „Massenware“ wie etwa Drucken oder Grafiken fehlt es hingegen meist an diesen einzigartigen Spuren. Im Falle der Radierung von Otto Strützel findet sich jedoch tatsächlich ein Provenienzmerkmal auf der Rückseite: Hier ist der Stempelaufdruck „Arthur Liebsch“ sichtbar. Dass es sich hierbei um einen Vorbesitzer der Strützelschen Radierung handelt, wird durch die Geschäftskorrespondenz zwischen dem Verkäufer des Bildes, der Kunsthandlung Curt Naubert in Leipzig, und dem Stralsundischen Museum deutlich. Im Oktober 1936 kaufte das Museum die Radierung für zwölf Reichsmark an. Curt Naubert schrieb zur Provenienz, dass er den gesamten künstlerischen Nachlass von Arthur Liebsch erworben hätte. Dass Liebsch nun auch diese Radierung von Otto Strützel besaß, sei darauf zurückzuführen, dass beide Männer eng befreundet gewesen seien und der Künstler seine Radierung auf Arthur Liebschs Handkupferpresse gedruckt habe. Recherchen belegen, dass der Kunstsammler Arthur Liebsch keine Kinder hatte und nach seinem Tod 1931 seine Schwester Hedwig Liebsch Alleinerbin wurde. Das Leipziger Kunstantiquariat Curt Naubert erwarb diesen Nachlass spätestens 1936. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine jüdische Glaubenszugehörigkeit von Arthur und Hedwig Liebsch und somit eine religiös bzw. „rassisch“ motivierte NS-Verfolgung. Die Geschäftsunterlagen der Kunsthandlung Naubert, aus denen nähere Informationen hätten gezogen werden können, haben sich nicht überliefert: Das Geschäft fiel der Bombardierung der Royal Air Force am 4. Dezember 1943 zum Opfer.

Eine Forderung an die Provenienzforschung ist neben der Ermittlung der Provenienz auch die Feststellung der Werkidentität. In diesem Fall erbrachte der Abgleich der Signatur auf der Radierung mit der Signatur des Künstlers auf anderen Werken einen erstaunlichen Befund. Otto Strützel signierte seine Werke wohl meist mit vollem Namen. Die auf der Radierung verwendete Abkürzung des Nachnamens „Otto Str.“ ist ungewöhnlich. Darüber hinaus ist die unterschiedliche Form des Anfangsbuchstabens „S“ auffällig, der hier schneckenartig verschlungen, auf Ölgemälden indessen kantig und in einzelnen Strichen ausgeführt ist. Ein Autograph des Künstlers zeigte sich in einer weiteren Schreibweise: Die einzelnen Buchstaben sind verbunden, das „S“ ohne abzusetzen in einer Strichführung mit einer markanten, harten Links-Rechts-Ausführungen, die die Form eines Dreiecks zeigt. Auf Zeichnungen hingegen finden sich Schreibweisen der Buchstaben sowohl in Druckform als auch in verbundener Schreibform. Das „S“ erscheint hier runder und ähnlich dem auf der vorliegenden Radierung. Otto Strützel, so zeigen es die Vergleiche, nutzte unterschiedliche Schreibformen seines Namens zur Signierung seiner Werke. Wenngleich zunächst Zweifel auftraten, ist die Radierung vor diesem Hintergrund Strützel zuzuordnen. Fazit hinsichtlich eines möglichen NS-Raubgut-Bezugs: Basierend auf den Recherchen zum Vorbesitzer Arthur Liebsch resp. seiner Schwester Hedwig Liebsch sowie dem Besitzübergang des Bildes von Letzterer an den Kunsthändler Curt Naubert lässt sich kein NS-verfolgungsbedingter Entzug ableiten. Der Besitzübergang gilt als unbelastet, die Provenienz ist unbedenklich.